Das Interview mit OB Kling: Corona und die Digitalisierung in der Kommunalverwaltung Calw

Florian Kling, Oberbürgermeister Calw
Rolf Dindorf

Plötzlich Digitalisierung? Die Corona-Herausforderung mischt die digitalen Karten neu. Jahrelang diskutiert und wenig praktiziert in Kommunalverwaltungen führt die aktuelle Krisenlage zum deutlichen Ausbau digitaler Infrastruktur. Einen spektakulären Boom erlebt die Büroarbeit im Homeoffice. Das Arbeiten in den eigenen vier Wänden stand bisher nicht im Fokus des strategischen Personalmanagements öffentlicher Einrichtungen. Daher mangelt es auch an Erfahrungen, wie man damit umgeht. Doch was heißt die Corona-Krise konkret für die Kommunalverwaltungen vor Ort? Praktiker nehmen dazu kurz und knackig Stellung.
Heute mit Florian Kling, Oberbürgermeisterin von Calw.

  1. Wie ist die Lage derzeit in Ihrer Stadtverwaltung? (Stichworte z.B. Arbeitszeitrahmen, veränderte Verwaltungsabläufe)
    Wir mussten aufgrund der Corona-Pandemie unser Rathaus für den regulären öffentlichen Bürgerverkehr leider schließen. Wichtige Dienstleistungen, bei denen auch Fachverfahren eingesetzt werden, sind aber immer noch direkt im Rathaus möglich, aber nur mit einer vorherigen Terminvereinbarung um Besuche zu entzerren. Unsere Stadtverwaltung war leider bisher noch nicht sehr digital – ich habe erst im Dezember mein Amt angetreten. Als ehemaliger IT-Consultant für Öffentliche Verwaltungen ist das natürlich einer meiner besonderen Schwerpunkte. Daher sind jetzt leider noch viele Kolleginnen und Kollegen auf die Arbeit mit Papierakten angewiesen. Auch der zentrale Posteingang konnte bisher noch nicht digitalisiert werden – für uns bedeutet das, dass die regulären Arbeitszeiten in den Ämtern erhalten bleiben aber vieles jetzt nachträglich digitalisiert und in unser E-Akten-System eingepflegt wird, damit überhaupt ein Homeoffice möglich ist. Statt regulären Abteilungs- oder Fachbereichsleitersitzungen finden die Meetings inzwischen hauptsächlich über Zoom, Webex oder Telefonkonferenz statt – darin haben wir inzwischen eine sehr gute Routine entwickelt. Auch unser Krisenstab findet nur noch digital statt, mit zugeschalteten Kollegen aus den Büros, dem Homeoffice und von unterwegs. Mein Arbeitsleben findet inzwischen leider nur noch hinter dem Schreibtisch mit PC und Telefon statt, das ist für einen Politiker, der sich gerne mit Menschen trifft, eine ziemlich triste Zeit.
  1. Wie viele Mitarbeiter der Calwer Stadtverwaltung arbeiten derzeit im Homeoffice? Wie sind die ersten Erfahrungen mit dem Arbeiten im Homeoffice?
    Von unseren ca. 150 Mitarbeitern in der Kernverwaltung befinden sich ungefähr die Hälfte im Homeoffice oder wechseln sich mit Kollegen regelmäßig ab, damit eine soziale Distanz möglich ist. Leider hat die Stadtverwaltung bisher keine Telearbeit für die Kollegen zur Verfügung gestellt, daher fehlen uns jetzt die Laptops für die Mitarbeiter. Diese wollten wir dieses Jahr eigentlich für alle Kollegen beschaffen, jetzt ist leider der Markt leergefegt. Unsere IT hatte aber zum Glück viele Systeme wie z.B. VPN Zugänge und Server bereits am Laufen – daher ist es jetzt möglich vorübergehend über eigene Computer von zu Hause auf unsere geschützten Systeme zuzugreifen – natürlich nur über den Browser, aber besser als nichts. Viele Kollegen konnten sich damit inzwischen anfreunden und sind froh, dass diese Möglichkeit überhaupt geschaffen wurde, auch wenn es für manche bedeutete zunächst zu Hause ihren eigenen PC wieder in Ordnung zu bringen oder internetfähig zu machen. Auch die Telefonumleitungen und Videokonferenzen sorgen inzwischen dafür, dass man Kontakt hält und informiert wird. Die städtische Cloud die wir vor kurzem eingerichtet haben, dient inzwischen als Dokumentenablage und Austauschplattform – das funktioniert sogar vom Smartphone aus. Aber sicher sind es keine idealen Startbedingungen – unter normalen Umständen wäre solch ein Vorgehen für eine Verwaltung undenkbar gewesen.
  1. Aus der Not eine Tugend machen: Kommt jetzt das Ende der Papierverwaltung? Wird jetzt das kommunale Leben vollends digital?
    So sehr ich gerne würde, so skeptisch bin ich auch. Leider haben viele kleinere Städte und Kommunen nicht die finanziellen Spielräume um den riesigen Rückstand in der Digitalisierung schnell aufzuholen. Sicherlich ist das Verständnis in der Stadtverwaltung für den Bedarf einer umfassenden elektronischen Sachbearbeitung und Aktenführung durch die Krise stark gewachsen, aber viele Voraussetzungen für das Onlinezugangsgesetz wurden bisher auf Landesebene noch nicht geschaffen. Wir sind davon abhängig, von der Landes-IT Services und Schnittstellen bereitgestellt zu bekommen, aber das funktioniert für die überwiegende Anzahl an Verfahren und sogenannten Lebenslagen der Bürger leider noch überhaupt nicht. Immerhin forcieren wir jetzt intern die Möglichkeiten von mobilem Arbeiten, der E-Akten-Führung vom Posteingang über die Sachbearbeitung bis zum Bürgerbescheid – aber in vielen Fällen, wenn Fachverfahren notwendig sind, können wir nur abwarten. Wir planen aber auch gerade eine neue städtische Homepage, die vieles auffangen soll, und zumindest alle Möglichkeiten für die künftigen Entwicklungen offen hält. Das beginnt bei der Online-Terminvereinbarung (die wir jetzt in der Corona-Krise gerne hätten) über die digitale Bezahlung an die Stadt, und einfacherem Zugang zu unseren städtischen Dokumenten und Informationen. Auch die Gebührenerhebung der Kindergärten frisst enorm viele Ressourcen, die wir gerne in ein automatisches System auslagern möchten.
  1. Auf Twitter schrieben Sie „erste digitale Gemeinderatssitzung überlebt“. Was waren die Herausforderungen? Wie geht es jetzt digital weiter im Gemeinderat?
    Zunächst hat uns die rechtliche Grundlage gefehlt, die digitale Ratssitzung komplett online durchzuführen. Die süddeutsche Ratsverfassung ist nicht auf einen Virus ausgelegt, bei dem sich die Menschen nicht mehr begegnen sollen. Erst Anfang Mai will das Land mit einer Gesetzesänderung die Voraussetzungen dafür schaffen. Mit einer Hybridsitzung war es aber möglich mit vier anwesenden Gemeinderäten die Beschlüsse rechtssicher herbeizuführen – alle anderen Räte und Verwaltungsmitarbeiter waren per Webkonferenz zugeschaltet, konnten mitdiskutieren und über ein inoffizielles Stimmungsbild abstimmen. Die im Ratssaal anwesenden Gemeinderäte setzten dieses Votum dann rechtskonform in Beschlüsse um. Soviel zur Politik. Die Technik war allerdings die größere Herausforderung. Ich bin meinem Gremium sehr dankbar für die Offenheit und Experimentierfreude – in zwei Testsitzungen haben wir die Videoverbindungen überprüft und bei den Gemeinderäten zu Hause eingerichtet. Da halfen oftmals auch Kinder und Enkelkinder mit – die Internetverbindung war glücklicherweise kein Problem. Aus verschiedenen Gründen haben wir uns gegen das nutzerfreundliche Zoom entschieden und Cisco Webex eingesetzt, das von der Landes-IT zur Verfügung gestellt wurde. Erst nachdem alle Gemeinderäte eingeloggt waren und ich den LiveStream gestartet hatte, flogen einer nach dem anderen aus der Sitzung raus. Im Nachhinein mussten wir feststellen, dass die Kapazität für über 40 Teilnehmer und einen LiveStream auf dem Server nicht ausreichend bemessen war. Erst nach einer Weile stabilisierte sich das System wieder, und bis auf zwei Teilnehmer (deren Login-Daten nicht mehr gültig waren) konnten alle digital teilnehmen. Glücklicherweise waren die beiden Gemeinderäte innerhalb von 10min im Rathaus und konnten von dort mitmachen. Ob das Gremium auch weiterhin noch Lust hat an den Videokonferenzen teilzunehmen muss noch geklärt werden, einige haben sich auch für Sitzungen in der Gemeindehalle ausgesprochen. Allerdings wären dann vermutlich nie wieder über 150 Zuschauer, wie wir sie über YouTube und Facebook hatten, möglich.
  1. Ein Blick in die optimistische Glaskugel: Was wird sich aus Ihrer Sicht nach der Corona-Krise in Calw verändern?
    Unsere Stadt ist in der Krise ein weiteres Stück zusammengerückt. Wir haben vieles erreicht und die Bürger haben auch alles gegeben um die lokale Wirtschaft bestmöglich zu unterstützen. Unsere eigene Maskenbeschaffung und Desinfektionsmittelproduktion hat gezeigt, dass die Stadt nicht nur abwartet sondern auch handelt und die Probleme angeht. Die digitalen Chancen sind noch bei weitem nicht ausgeschöpft und ich hoffe, dass ich auch künftig die demokratische Unterstützung erhalte unser Schwarzwaldstädtchen weiter in die digitale Welt zu führen. Die Krise hat gezeigt, dass auch der lokale Handel auf digitale Vertriebswege angewiesen ist – und unser Rathaus sollte auch nicht der einzige Ort sein, an dem Bürger ihre Anträge stellen können und Gebühren bezahlen. Insofern glaube ich, dass das Verständnis für die digitale Welt sicherlich sprunghaft angestiegen ist und wir noch einen langen Weg der Erneuerung vor uns haben. Vor allem freue ich mich ab diesem Jahr mit dem DigitalPakt Schule alle unsere Schulen an das Glasfasernetz anzuschließen und endlich auch dort eine digitale Infrastruktur aufzubauen. Die digitalen Lücken unseres Bildungssystems haben uns schonungslos offengelegt, wo wir noch viel Arbeit vor uns haben.

Vielen herzlichen Dank für die Beantwortung der Fragen
Rolf Dindorf

Bild: (c) Florian Kling


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