Plötzlich Neustaat? Das Interview mit Nadine Schön zur Verwaltungsmodernisierung

Rolf Dindorf

Plötzlich Neustaat?
Die Corona-Herausforderung zeigt deutlich Verbesserungsbedarf bei der öffentlichen Verwaltung. Zu hierarchisch, zu bürokratisch und wenig flexibel lautet der Vorwurf. Die Bundestagsabgeordneten Nadine Schön und Thomas Heilmann haben darauf mit Ihrem Buch „Neustaat“ reagiert und 103 Vorschläge für eine Verwaltungsmodernisierung vorgelegt. Nadine Schön gibt im Interview dazu kurz und knackig Auskunft.

  1. Frau Schön, Wie ist die Idee zu dem Buch entstanden und worum geht es?

Die Idee für das Buch ist aus einer Projektgruppe heraus entstanden, die Ralph Brinkhaus nach seiner Wahl zum Fraktionsvorsitzenden ins Leben gerufen hat. Unter dem Stichwort #leben2030 haben wir uns mit möglichen Szenarien beschäftigt, wie sich unser Land in den nächsten Jahren verändert wird.  Und wir haben Thesen aufgestellt, was sich ändern muss, damit wir eine gute Zukunft haben. Eigentlich wollten wir uns bei der Vision auf gezielte Zukunftsthemen konzentrieren, also Technologien wie künstliche Intelligenz und Blockchain oder Themen wie Infrastruktur und Rentenpolitik. Digitale Verwaltung sollte dabei auch bereits ein Thema sein, aber nur eines von vielen.

Je länger wir aber an den Konzepten und Ideen arbeiteten, desto klarer wurde, dass Staat und Politik – also wir selbst – besser werden müssen. Bei allen Ansätzen offenbarte sich immer wieder dasselbe Nadelöhr. Bei der Umsetzung von Initiativen oder politischen Strategien, bei der Reaktion auf aktuelle Geschehnisse sind wir zu unbeweglich, zu langsam, zu analog. Aus der Erkenntnis heraus ist Neustaat entstanden und liefert zahlreiche Vorschläge mit, wie wir schneller besser und besser schneller werden. Zentraler Treiber war dabei Thomas Heilmann, der auch die Idee hatte, daraus ein Buch zu machen.

  1. Sie fordern beispielsweise neues Denken in Politik und Verwaltung. „Kein Staatswandel ohne Kulturwandel“ lautet die plakative Formel. Doch wie soll das umgesetzt werden?

Jeder, der einmal Führungsverantwortung innehatte, weiß, dass eine Unternehmens- oder Behördenkultur die Königsdisziplin jedes Change Managements ist. Das geht nicht über Nacht und ist auch nicht durch einen einzelnen Vorschlag zu erreichen.

Der Kulturwandel wird sowohl von außen durch politische Änderungen, z.B. im Dienstrecht oder Verwaltungsrecht erreicht werden müssen als auch intern durch neue Arbeitsformen und Einheiten, die moderne Verwaltung vorleben. Da gilt es dicke Bretter zu bohren. Wir haben schon viel Gutes auf den Weg gebracht, ich denke da beispielsweise an DigitalServices4Germany, die Projektgruppe Digital Innovation Team im Bundesinnenministerium oder die beiden bundesweiten Hackathons. Es kommt immer mehr Schwung ins Thema, aber der Kulturwandel wird noch viel Anstrengung erfordern, das ist klar.

  1. Ein weiterer Vorschlag lautet, „den Austausch mit der Privatwirtschaft“ zu forcieren. Während in den USA diese Praxis üblich ist tut sich unser Land schwer damit. Wie lässt sich diesbezüglich eine positive Spirale in Gang setzen?

In Deutschland hat das Thema einen anrüchigeren Klang als in den USA. Aufsichtsratsposten oder Wechsel von Politikern in hochrangige Wirtschaftspositionen werden häufig sehr kritisch beäugt. Das hat auch einen guten Grund. Interessenskonflikte oder Bevorteilungen dürfen nicht Teil des Geschäfts sein.

Unabhängig davon merken wir grade in der Pandemie, dass Politik und Verwaltung viel von der Privatwirtschaft lernen können. Beispielsweise liefen Logistikprojekte in der Pandemie, seien es Maskenbeschaffung oder Schnelltests, in der Privatwirtschaft schneller und kosteneffizienter ab. Das zeigt uns, dass wir in der Planung und Organisation solcher Großprojekte, aber auch bei der Gestaltung vom Strukturwandel in der Verwaltung im Allgemeinen, die Hilfe von außen gebrauchen können. Viele Konzerne haben eine ähnliche Transformation hinter sich. Warum nicht die „learnings“ teilen? Und: Wir brauchen generell eine größere Durchlässigkeit in der Verwaltung. Quereinsteiger haben es schwer, in die Verwaltungslaufbahnen einzusteigen, dabei bringen sie möglicherweise eine Menge Wissen und Erfahrung mit, das wir im Staat gut brauchen könnten. Hier offener zu werden wird eine der großen Herausforderungen der nächsten Jahre sein.

  1. Beim Thema Digitalisierung wird zu häufig der technische Aspekt betont. Sie fordern ein „neu gedachtes Digitalministerium“ mit einer „übergreifenden bundesweiten Personalentwicklung“. Können Sie das bitte konkretisieren?

Ein potenzielles Digitalministerium braucht neben einem Innovationsfokus und der inhaltlichen Zuständigkeit für bestimmte Digitalisierungsprojekte auch einen starken Fokus auf Transformation. Dabei geht es zum Beispiel darum, anderen Häusern eine neue Art der Personalgewinnung und –entwicklung vorzuleben. Derzeit bewerbe ich mich als Anwärter auf einzelne Stellen, muss immer wieder die gleichen Unterlagen einreichen und bekomme viele Ausschreibungen meist gar nicht mit.

Sinnvoller wäre es beispielsweise, einen zentralen Rekrutierungspool zu schaffen, auf den sich Interessierte bewerben können. Behörden können den Pool nach geeigneten und interessanten Kandidaten durchsuchen und direkt mit Gesprächsanfragen oder Stellenangeboten kontaktieren. Das eröffnet Kandidaten neue Möglichkeiten, da sie auch für Stellen kontaktiert werden können, die sie vielleicht nicht auf dem Schirm hatten. Behörden profitieren dadurch, dass sie schnell, gezielt und mit weniger Aufwand passende Kandidaten für ihre Stellen finden können.

In einem Digitalministerium könnte man einen solchen Bewerberpool pilotieren, um ihn bei Erfolg dann perspektivisch auszuweiten. Gleiches gilt für andere Vorschläge im Bereich Personalentwicklung wie zum Beispiel neue Feedbacksysteme, Beförderungsgrundsätze, etc.

  1. Hand aufs Herz: Was sollte die nächste Bundesregierung von den 103 Vorschlägen zuerst umsetzen?

Nachdem uns so großer Zuspruch und so breite Unterstützung für Neustaat erreichte, nicht nur in der Partei und Fraktion, sondern auch aus der Verwaltung selbst, wussten wir, dass wir mit der Umsetzung nicht bis zur nächsten Legislaturperiode warten können. Stattdessen nehmen wir das Momentum weiter mit. Einige Vorschläge haben wir bereits angestoßen: Wir haben das Registermodernisierungsgesetz auf den Weg gebracht, das die Abwicklung vieler Verwaltungsprozesse leichter machen wird. Wir haben die Mittel zur Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes, das sämtlich Behördenleistungen digitalisiert, um Milliarden aufgestockt. Wir haben eine elektronische Identität, die e-ID, geschaffen, mit der man sich künftig im digitalen Raum ausweisen kann. Die ersten Anwendungsfälle gibt es bereits. Wir bringen gerade einen GovTech-Campus auf den Weg.

In den kommenden Wochen wird die CDU gemeinsam mit der CSU das Unionswahlprogramm für die kommende Bundestagswahl vorstellen. Auch da wollen wir so viel Neustaat wie möglich einfließen lassen. Sollten die Wähler uns ihr Vertrauen aussprechen, geht es weiter mit der Umsetzung von Neustaat.

Herzlichen Dank für das Interview.

Porträt:
Nadine Schön ist direkt gewählte Vertreterin des Wahlkreises St. Wendel im Deutschen Bundestag. Die Juristin ist als stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für die Themen Digitale Agenda sowie Familie, Senioren, Frauen und Jugend zuständig.


Sie fanden den Beitrag gut? Bitte teilen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Große Wirkung, kleines Budget:
Entdecken Sie die Geheimnisse erfolgreicher Mitarbeiterbindung!

Profitieren Sie von diesem Vortrag, wenn Sie erfahren, wie kleine Schritte große Auswirkungen haben können.

Der Impulsvortrag für Ihre Führungskräftekonferenz
Jetzt buchen oder mehr Informationen anfordern!