Totengräberstimmung beim Wertewandel in der Verwaltung?

sinnstiftende Führungskultur öffentliche Verwaltung Mitarbeitermotivation
Rolf Dindorf

Alle reden von der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung. Wer Glück hat trifft auf die Diskussion zum demographischen Wandel im öffentlichen Dienst. Doch der Wertewandel in den Amtsstuben spielt in den öffentlichen Debatten allenfalls eine Nebenrolle.

Vielfach wird in den Verwaltungsspitzen und Führungskräften der Behörden eine agile Verwaltung diskutiert und gewünscht, doch der damit einhergehenden Spaltung der Belegschaft wird nur wenig Gehör geschenkt.

Agile Verwaltung nur für Akademiker?

Die Schlagworte der agilen Verwaltung sind hinlänglich bekannt: Virtuelle Teams, mobiles Arbeiten, agile Methoden, selbstorganisierte Teamarbeit, Vernetzung, Sinnstiftung, hierarchiefreie Arbeitsorganisation… Die wunderbare Welt der Akademiker mit ihren immateriellen, psychologischen und sozialen Wünschen breitet sich vor den Verwaltungsspitzen und Führungskräften aus. Doch wo bleibt der einfache Arbeiter/ die einfache Verwaltungsangestellte/ der Facharbeiter in der agilen Verwaltungsorganisation von Kommunalverwaltungen, Pflegeheimen oder Krankenhäusern?

„Karl Marx hatte mit der Position, dass die Industriearbeiterschaft die eigentliche Quelle von gesellschaftlicher Produktivität und (ökonomischem) Wert bildet, ein Selbstverständnis der Industriegesellschaft formuliert, das mit der Ökonomie der Singularitäten eine Umkehrung erfährt. Die singulären Güter erscheinen nun als der eigentliche Ort von (kulturellem) Wert, und die >kreative Klasse< der Hochqualifizierten – ein Begriff der nicht zufällig ein Element der Selbstglorifizierung enthält – als ihr produktiver Träger.“ (Prof. Andreas Reckwitz: Die Gesellschaft der Singularitäten. Berlin 2020. S. 185)

Der Wertewandel impliziert somit ein deutlicher Imagegewinn für kreativ-akademische Berufe und ein Abstieg für Routinetätigkeiten wie beispielsweise Bauhofmitarbeiter, Pflegekräfte, Hausmeister, Friedhofsmitarbeitende oder Verwaltungsangestellte.

Wertewandel und strategisches Personalmanagement

Damit der Kulturwandel (digitale Transformation) in der Verwaltung gelingt bedarf es eines strategischen Personalmanagements. Dieses darf keine Vogel-Strauß-Politik im Hinblick auf die Spaltung der Belegschaft betreiben. Mit dem Siegeszug der Wissensarbeiter in den Behörden hat die Krise (Demotivation) der ‚Handarbeiter‘ begonnen. „Aber seine soziale Stellung und sein Status schwinden rapide. … Der junge Arbeiter von heute hat daher von Anfang an ein Gefühl des Abgelehnt-Seins, ein Gefühl des Versagt Habens, die Überzeugung, daß er ein Bürger zweiter Klasse ist.“ (Prof. Peter F. Drucker: Neue Management-Praxis. Band 1. Düsseldorf 1974. S. 267).
Übersetzt man Arbeiter mit klassischen Verwaltungsberufen wie Finanzwirtin, Zöllner, Fachkraft im Fahrbetrieb, Justizfachangestellter, Justizvollzugsbeamtin usw. wird die Bedeutung durch den Wertewandel deutlicher. Das Kopf in den Sand stecken durch Verwaltungsspitzen und Führungskräften sowie Beratern großer Konzerne wird der Entwicklung nicht gerecht. Wer eine motivierte Gesamtbelegschaft im Hinblick auf die digitale Verwaltung ansteuert muss auch die Beschäftigten mit Routinetätigkeiten gleichberechtigt im Blick haben.

Photo: iStock(c)


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